Mittwoch, 11. Oktober 2017

Von weiteren Fährfahrten, Irrwegen im Immigrationsbüro und seltsamen Tieren

00:13 Uhr
Meine Haare sind zerzaust, auf meinen Händen ist Ruß und ich liege auf einer neulich in der Stadt erworbenen Bastmatte auf dem Deck einer Fähre nach Sibolga, während durch meine Kopfhörer ein Lied von Madsen dröhnt. Zwei Monate bin ich jetzt schon in Indonesien - Zeit, mein Visum zu verlängern! Da dies aber nur auf Sumatra und nicht auf Nias möglich ist, haben Doreen und ich uns am Abend aufgemacht, um die Reise nach Sibolga anzutreten, wo wir uns wieder mit dem Visums-Menschen treffen werden.
Den Text kritzle ich gerade mit meinem Füller auf ein paar Blätter Papier, die ich bei dem Wind mühselig festhalten muss; falls dieser Blogeintrag an nachfolgenden Stellen zusammenhangslos erscheint, ist mir wahrscheinlich ein Blatt weggeflogen. Wenn ihr das hier also lest, werde ich schon zurück auf Nias sein und alles abgetippt haben.
Da es die meiste Zeit geregnet hat, ich mich aber geweigert habe, in einem Zimmer auf der Fähre zu schlafen, war das die Notlösung für die Nacht, in der wir zurück nach Nias gefahren sind. Halb an Deck, halb im Gang (regengeschützt!)

Da ich gerade keine Lust habe, meine Gedanken zu sortieren (und außerdem viel zu müde dafür bin), schreibe ich einfach mal drauf los und gebe mir größte Mühe, dennoch verständnisvoll wiederzugeben, was ich die letzten Wochen so alles erlebt habe.
Für die ersten drei Monate wurde ich zum Arbeiten in Spielzimmer und Physiotherapie eingeteilt, Doreen in Küche und Nähkammer. Die Arbeit mit den Kindern macht mir total viel Spaß und da Doreen und ich am Anfang noch gemeinsam in alle Arbeitsbereiche hineinschnuppern durften, war es für mich nach diesen zwei Wochen auch gar nicht mehr schwer, dann alleine (also nicht ganz alleine, aber halt ohne Doreen) mit den Kindern zu arbeiten.
Die Möglichkeiten im Spielzimmer, wo ich bisher die meiste Zeit gearbeitet habe, sind vielseitig; es gibt eine Wippe, zwei Schiffschaukeln (von denen eine allerdings Geräusche von sich gibt, die vermuten lassen, dass sie bald in sich zusammenfallen könnte!), drei Schaukelpferde, zwei Metallstangen zum Gehen üben, kleine Steh-Schränke (muss ich erwähnen, dass die zum Stehen üben sind?), drei Matten, die immer auf dem Boden liegen, Tische, Stühle, ein Schrank mit allen möglichen Schreib-, Mal- und Spielsachen und zu guter Letzt ein gar nicht mal so kleines Bällebad.

Ab und zu - aber nicht regelmäßig - sollen einige Kinder vormittags am Tisch im Spielzimmer auch ein bisschen lesen, rechnen und schreiben lernen. Mit einem Mädchen übe ich häufiger mal rechnen, was sowohl ihr, als auch mir anfangs etwas schwer fiel (Rechenregeln auf Indonesisch zu erklären ist verdammt schwierig!), aber schnell sehr viel besser wurde, nachdem ich in der Stadt einen Zählrahmen gekauft habe. Den fand sie dann so spitze, dass sie mehrere Tage lang die ganze Zeit über nur mit mir Matheaufgaben lösen wollte (Thomas - Ähm, nein!).
Ansonsten lasse ich mich gern von den Kindern überall hin mitziehen und spiele mit ihnen, auf was sie gerade Lust haben. Oder ich singe zusammen mit den Kindern indonesische Kinderlieder (di sini senang, di sana senang, … - ein echter Ohrwurm!). Nachmittags male ich gerne und oft mit den Kindern, dafür habe ich extra Öl-Pastell-Stifte aus Deutschland mitgebracht. Ich habe versucht den Kindern zu zeigen, wie man diese Farben mit den Fingern ineinander verwischen kann und ein paar wenige Kinder haben das auch tatsächlich verstanden und offensichtlich viel Spaß daran.


16:55 Uhr
Inzwischen sitze ich in einem kleinen Zimmer eines Klosters in Sibolga, in dem Doreen und ich freundlicherweise den Tag verbringen (=uns ausruhen) dürfen.
Verzeiht - ich hatte nachts auf der Fähre dann irgendwann doch keine Motivation mehr, weiter zu schreiben. Abgesehen davon sind Fährfahrten für mich sowieso schon immer ziemlich anstrengend, stressig und teilweise (durch die viel zu wirren, müden Gedanken) auch emotional aufwühlend. Keine gute Kombi. Dementsprechend mäßig ist meine momentane Stimmung - ach, heute ist einfach nicht mein Tag! Aber das in diesem Blog zu verheimlichen, fände ich falsch. So zu tun, als ginge es mir jeden Tag spitze, ist nicht das, was ich vermitteln möchte. Auch das Wetter gibt sein Bestes, dafür zu sorgen, dass meine Laune sich auf keinen Fall bessert; seit gestern ist es ständig am regnen, blauen Himmel habe ich schon lange nicht mehr gesehen und es ist ungewohnt kühl, nur 23°C. Winterliche Verhältnisse.

Nachdem ich heute Nacht auf der Fähre insgesamt nicht mehr als eine Stunde geschlafen habe (das war eine viel kleinere Fähre als letztes Mal. Die hat dann natürlich auch viel stärker geschaukelt), konnte ich zum Glück heute morgen nach unserer Ankunft im Kloster in dem Zimmer noch eineinhalb Stunden schlafen. Unsanft aus meinem Traum gerissen wurde ich erst, als Doreen und ich um Punkt 10 Uhr gemeinsam mit dem Visums-Menschen zum Immigrationsbüro fahren sollten. Keine 15 Minuten später standen wir auch schon in der kleinen Wartehalle, um unser Visum zu verlängern. Doreen und ich wurden einzeln in ein kleines Hinterzimmer am Ende des Ganges gerufen, um Passfotos zu machen und Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Probleme gab es eigentlich keine - mal abgesehen von meiner ganz persönlichen Desorientierung, dank der ich es nicht mehr geschafft habe, den Weg zurück in die Wartehalle zu finden, mich stattdessen in den verwinkelten Gängen heillos verlaufen und schließlich erleichtert irgendeinen Hinterausgang gefunden habe. Zu meiner Verteidigung: ich war noch total verschlafen, ich war ja eben erst geweckt worden!
Doreens Blick, als ich schließlich von draußen durch die Eingangstüre zurück in die Wartehalle gelaufen kam, war allerdings unbezahlbar!

Ansonsten verliefen die letzten Wochen ziemlich unspektakulär; Doreens und mein erster unbegleiteter Ausflug mit dem Becak in die Stadt fühlte sich für uns zwar aufregend an, verlief allerdings tatsächlich ohne große Zwischenfälle.
Ich würde schon fast behaupten, dass ich hier inzwischen richtig angekommen bin und mich eingelebt und an alles gewöhnt habe - allerdings protestiert da mein Körper doch etwas. Besonders mein Magen-Darm-Trakt scheint sich hier noch nicht ganz so wohl zu fühlen und macht von Zeit zu Zeit ziemlich unschöne Sachen, auf deren genauere Erleuterung ich an dieser Stelle lieber verzichten werde. Zu eurem eigenen Schutz.

18:09 Uhr
So, nach einer kurzen Keks-Pause mit Doreen bin ich wieder da und schreibe weiter. Kekse sind toll! Aber wie dem auch sei, was ich noch erzählen wollte: Nervige Tiere gibt es hier in Indonesien natürlich auch eine ganze Menge. Und egal ob klein oder groß - irgendwie schaffen sie es alle in mein Zimmer. Keine Ahnung, wie die das immer wieder anstellen. Abgesehen von den weniger spektakulären, immer wieder neu aufkeimenden Ameisenstraßen quer durch mein Zimmer (die ich mit vereinten Kräften noch jedes Mal besiegen konnte), den Geckos an den Wänden und den vielen Moskitos im ganzen Raum, scheint es noch eine Art "unsichtbare Tiere" zu geben - die hört man zwar ständig, bekommt sie jedoch niemals zu Gesicht.
Bis vor ein paar Tagen gehörte ich noch zu der Sorte von Menschen, die ihre leeren Kekspackungen gerne mal für ein/ zwei Tage auf dem Stuhl im Zimmer liegen lassen (ja, Mama, ich gebe zu, dass ich gelegentlich zur Unordnung neige!). Eines Abends liege ich in meinem Bett und will gerade einschlafen, da höre ich plötzlich aus der Richtung meines Stuhls eigenartige Geräusche. Etwas raschelt. Ich stehe auf, schalte das Licht an und schaue nach.
Nichts. Nicht mal eine Ameise.
Verwirrt schalte ich das Licht aus und lege mich wieder in mein Bett. Keine Minute später höre ich dieselben Geräusche noch einmal, dann ein lautes Plopp. Ich stehe wieder auf, schalte das Licht wieder an. Die leere Kekspackung liegt auf dem Boden. Es ist dennoch weit und breit kein Tier zu sehen. Gruselig!
Ich schlafe nicht besonders gut ein an diesem Abend.

Aber nicht nur in unseren Zimmern fühlen sich die Tiere wohl, auch unsere Köpfe sind beliebt: Doreen und ich hatten schon nach kurzer Zeit Läuse, was auch kein Wunder ist, da die Kinder alle wirklich sehr viele Läuse haben. Da geht das eben schnell, dass man selbst auch welche bekommt, was ja eigentlich nicht so dramatisch ist. Doch selbst wenn Doreen und ich bei uns mit Läuseshampoo vorgehen, haben wir nach ein/ zwei Wochen neue Läuse, egal wie gut wir aufpassen. Daher haben wir beschlossen, das Läuseshampoo nur vor Zwischenseminar oder Urlaub zu benutzen und versuchen derweile regelmäßig, unsere Läuse mit dem Nissenkamm im Zaum zu halten.
Lustigerweise hat Doreen sehr viel Spaß dabei, mich zu entlausen (sie sagt, sie ist immer so stolz auf sich und freut sich, wenn sie eine Laus entdeckt!) und wenn wir uns dann noch nebenher über Gott und die Welt unterhalten und dabei Musik hören, entstehen sehr witzige Abende. Ich glaube, diese Entlausungs-Partys mit Doreen werde ich vermissen, wenn ich wieder in Deutschland bin.
Aber bis dahin dauert es ja zum Glück noch ein Weilchen und ich bin gespannt, was die nächste Zeit noch so alles mit sich bringt.
(verfasst am 10. Oktober)